Wein+Markt, Februar 2024

MAL WAS ANDERES

Winzers Werk und Teufels Beitrag

Ein trockener Botrytis-Wein, ausgebaut von der Urban Winery Adega Belém in Lissabon: Der 2020 Arinto „Maceração Diabólica“ belohnt den Mut, in Extremsituationen einen naturnahen Wein zu produzieren. Von Ulrich Amling

Die Geschichte dieses raren Weines beginnt mit einem Schock: Als Catarina Moreira und David Picard am Morgen des 9. September 2020 die Quinta do Carneiro, gut 50 Kilometer nördlich von Lissabon erreichen, ist der Weinberg nicht wiederzuerkennen. Seit der letzten Besichtigung vor fünf Tagen ist die Farbe umgeschlagen. Was an den Stöcken hängt, sieht bräunlich- gelb oder lila aus. Das Winzerpaar riecht an den Arinto-Trauben: Wenigstens keine Spur von Essiggeruch.
Die lila Färbung deutet auf Botrytis hin, jenen durch feuchtes Klima ausgelösten Pilzbefall, der als sogenannte Edelfäule für große Süßweine etwa aus Sauternes und Tokaj stilprägend ist. Nach kurzer Diskussion beschließt das Team, den Weinberg zu lesen, anders als viele Winzer, die ihre befallenen Arinto-Trauben nicht verarbeiten werden. „Mit zwölf Leuten säuberten wir den ganzen Tag Traube für Traube von den gröbsten Faulbeeren und sammelten nur die gelben und lilafarbenen“, erinnert sich David Picard. „Am Ende eines langen Tages kamen nur gut 600 Kilogramm zusammen statt der erwarteten 2.500 Kilogramm.“
Es ist längst dunkel geworden, als Winzer und Trauben die Kellerei im Lissaboner Stadtteil Belém erreichen. Dort haben Catarina Moreira und David Picard in einer ehemaligen Autowerkstatt eine Urban Winery eingerichtet. Nach jahrelangen Umbauarbeiten und Behördengängen können sie 2020 ihren ersten Jahrgang komplett in ihrer Adega Belém vinifizieren.
Die Trauben stammen von befreundeten Weinbauern, wie der Quinta do Carneiro, aber auch direkt aus dem Stadtgebiet, etwa vom Weinberg des Instituto Superior de Agronomia, wo Catarina und David Önologie studiert haben, bevor sie ihre Studien in Geisenheim fortsetzten. Zwei Wissenschaftler, die die Liebe zum Wein zusammengeführt hat: Vor ihrem Winzerleben hat Catarina als Evolutionsbiologin gearbeitet, David als Anthropologe.
Ihr ungewöhnliches Lesegut wird über Nacht heruntergekühlt, um die Pilzaktivität auszubremsen. Am nächsten Tag kommen die Beeren in eine Korbpresse, danach vergärt der Most spontan im Stahltank. Catarina und David sind Fans französischer Naturweine und bleiben auch bei ihrem Botrytis-Arinto dabei, wenig in die Entstehung des Weines einzugreifen. „Nach nur zwei Tagen Vergärung war der Wein sauber und entwickelte rasch das typische Aromaprofil einer Edelfäule“, sagt David. „Auf wundersame Weise hatten die Hefen aus faulen Beeren einen reinen Wein gemacht und damit das Rennen gegen die Essigbakterien gewonnen!
“ Ausgebaut wird der durchgegorene, bernsteinfarbene Wein mit seinem markanten Säurenerv über 18 Monate in gebrauchten Barriques. Am Ende werden 555 Flaschen abgefüllt und mit dem von Tochter Sofia gemalten Etikett sowie dem Zusatz „Maceração Diabólica“ (deutsch: Teuflische Mazeration) versehen. Bei der Entstehung dieses Botrytis- Weins habe schließlich nicht nur der Gott des Weins seine Finger im Spiel gehabt, sagen die Winzer mit einem Augenzwinkern. Die Lissaboner Weinkontrolle tut sich zunächst schwer mit dieser Bezeichnung, bis sie die Höhe der Auflage bemerkt und bei der Adega Belém anruft: 555 sei doch die Zahl der Engel und somit ein Zeichen höherer Eingebung! Das Etikett ist genehmigt.
Und wie schmeckt der 2020 Arinto „ Maceração Diabólica“? Reich und dennoch frisch, mit Anklängen an Karamell und Rauch, Trüffel und Aprikose, Eukalyptus und Orangenschale. Man kann sagen: Durch eine Laune der Natur kommen sich Himmel und Erde in diesem Wein sehr nah.

 

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